Optimale Leistung im Wettkampf abrufen

Das Gefühl, dass Schläge und Laufwege die im Training wie im Schlaf funktionieren im Wettkampf plötzlich nicht mehr abgerufen werden können, kennt wohl jeder Spieler. Schlechte Platzierung, viele unnötige Fehler, keine Power in den Angriffsschlägen und falsche taktische Entscheidungen sind einige der klassischen Symptome, die sich zeigen, wenn der mentale Stress einsetzt.

Auch wenn ich nun schon seit vielen Jahren Badminton auf einem ziemlich hohen Level spiele und in meiner Laufbahn schon sehr viele Erfahrungen mit Wettkampfstress und Druck sammeln konnte ist es auf Turnieren oder Punktspielen immernoch eine große Herausforderung für mich, meine volle Leistung abzurufen und in den sogenannten “Flow” zu kommen.

Ich erlebe immernoch Spiele, bei denen ich  meinen eigentlichen Möglichkeiten bis zum letzten Ballwechsel nur hinterherlaufe. Diese Spiele sind in den letzten Jahren zum Glück aber deutlich seltener geworden. Das Zauberwort, dass mir hierbei besonders geholfen hat: Emotionsregulation.

Um zu erklären was ich meine, möchte ich zunächst ein einfaches theoretisches Modell vorstellen, an dem sich viele praktische Situationen im Match sehr gut erklären lassen. In der folgenden Grafik, basierend auf einem Model des Psychologen Yuri Harin, wird der Zusammenhang von Leistungsfähigkeit und Erregungslevel (Anspannung bzw. Stress) dargestellt:

Die grundsätzliche Aussage der Grafik ist relativ simpel. Maximale Leistung ist vor allem bei einem mittleren Maß an Anspannung möglich. Dieser Bereich wird auch als optimale Wettkampfzone (OWZ) bezeichnet. Ein zu geringes Erregungslevel wirkt sich negativ auf die Leistungsfähigkeit aus (Sub Optimale Zone). Ich denke hier erkennen sich viele wieder, die schon einmal von einem Spielaufruf überrascht wurden und unaufgewärmt und völlig unvorbereitet in ein Match gingen. In der Regel nicht die beste Voraussetzung für Höchstleistung.

Wie bei der Grafik aber ebenso deutlich wird, kann auch ein zu hohes Erregungslevel leistungsmindernd wirken (Stress Zone). Häufig ist es der mentale Stress im Wettkampf der zu großer psychischer und letztlich auch physischer Anspannung führt. Bewegungen fühlen sich nicht mehr rund und flüssig an und taktische sowie technische Fehler häufen sich. Die eingangs beschriebenen Fehlerbilder sind häufig die Folge.

Nicht jeder Spieler ist gleich:

Es ist wichtig zu verstehen, dass die vorgestellte Kurve individuell unterschiedlich aussehen kann und der Bereich der maximalen Leistungsfähigkeit je nach Spielerpersönlichkeit in einem ganz anderen Anspannungsbereich liegen kann. Zwei sehr gute Beispiele aus der Weltspitze sind aus meiner Sicht Spaniens Carolina Marin und Indonesiens Hendra Setiawan. Während Marin sich nach nahezu jedem Ballwechsel lautstark pusht und sich während des kompletten Matches auf einem unglaublich hohem Erregungslevel befindet, könnte man bei Setiawan emotional oft den Eindruck bekommen, er schläft auf dem Feld gleich ein. Dennoch sind beide Olympiasieger und scheinen für sich einen Weg gefunden zu haben, ihre Bestleistung auf dem Feld mit hoher Konstanz abrufen zu können. So könnte man die beiden Spieler anhand der beschriebenen Kurve aus meiner Sicht gut charakterisieren:


Die eigene OWZ kennen:

Die Frage ist nun, wie man dieses Wissen auf dem Feld nutzen kann. Erst einmal sollte man sich überlegen, wie die eigene OWZ aussieht, bzw. wie man sich fühlen muss um bestmögliche Leistung abzurufen. Hier kann ich nur empfehlen sich an einen Moment zu erinnern in dem nahezu alles funktioniert hat und möglichst detailliert aufzuschreiben, wie man sich in diesem Moment gefühlt hat (und eventuell auch was davor passiert ist um in diesen Zustand zu kommen.)

Zudem kann es hilfreich sein sich zu überlegen, ob man eher ein Spielertyp ist, der viel Anspannung benötigt oder nicht. Folgende Fragen können bei der Einschätzung helfen:

  • Brauche ich sehr lange, um im Training und im Wettkampf in die Gänge zu kommen?
  • Welchen Einfluss hat es auf meine Leistung wenn ich mich lautstark pushe?
  • Mache ich im Wettkampf häufig Fehler weil ich mich sehr angespannt und fest fühle?
  • Werde ich durch Zuschauer und Anfeuerungen zu Höchstleistungen angetrieben?

Natürlich lassen sich diese Fragen nicht immer pauschal beantworten aber meistens geben sie einem eine ganz gute Idee, ob man eher ein Spielertyp wie Marin ist, für den ein hohes Anspannungslevel entscheidend ist, oder ob man wie Setiawan ruhe und Gelassenheit benötigt, um performen zu können.

Emotionen regulieren:

Ist dieser Schritt erledigt geht es nun an die Praxis auf dem Feld. Während eines Matches muss ich nun lernen einzuschätzen, wo ich mich auf meiner Kurve befinde  und dann versuchen mein Anspannungslevel bewusst in die Richtung meiner OWZ zu regulieren. Für beide Richtungen gibt es mehrere simple, aber sehr effektive Maßnahmen, die angesichts der vorherigen Punkte nun hoffentlich auch einleuchtend sind:

Erregungslevel nach oben bringen:

  • Langer intensiver Warm Up oder motivierende Musik (vor dem Match)
  • Sich selbst anfeuern
  • Spieltempo erhöhen (Höheres Beintempo)

Erregungslevel nach unten regulieren:

  • Keine Emotion nach Ballwechseln zeigen (sowohl nach Fehler als auch nach Punkt)
  • Zwischen den Ballwechseln bewusst atmen (fester Atemrhythmus und Bauchatmung)
  • Bewusst längere Pause zwischen den Ballwechseln nehmen

Mir wurde hier irgendwann auch klar, wie wichtig es ist, seine eigene Position auf der Kurve einschätzen zu können. Ich habe häufig das Problem, zu angespannt zu sein, also mich rechts von der OWZ zu befinden. Früher habe ich wenn es nicht gut lief immer versucht, mich verstärkt zu pushen, was mich aber nur noch weiter auf die rechte Seite der Kurve gebracht hat. Wenn ich heute merke, dass ich in so einer Situation bin, versuche ich äußerlich gar keine Reaktionen zu zeigen (egal ob Punkt oder Fehler) und probiere mit bewusstem Atmen in den Ballwechselpausen mein Stresslevel nach unten zu regulieren.

Lautstarkes anfeuern kann zusätzliche Energie freisetzen  und ist vor allem bei fehlender Anspannung oder in entscheidenden knappen Situationen oft ein gutes Mittel.  Im Allgemeinen sieht man aber nur wenige Spitzenathleten in Rückschlagsportarten, die sich über den gesamten Spielverlauf pushen wie es Carolina Marin tut. Der Druck im Wettkampf führt in der Regel häufig dazu, dass man leicht auf die rechte Seite der Kurve kommt und viele Spieler daher eher in die Gegenrichtung steuern möchten.

Natürlich sollte es das Ziel sein, schon ab dem ersten Ballwechsel in der OWZ zu sein, was aber oft gar nicht so leicht ist. Die Vorbereitung vor dem Spiel ist dabei absolut entscheidend und besonders wenn ihr ein Typ seid, der viel Anspannung braucht solltet ihr genug Vorbereitungszeit einplanen und ggf. auch zu Maßnahmen wie motivierender Musik greifen. Die kann noch einmal zusätzlich dabei helfen, den Erregungszustand zu erhöhen.

Ich hatte eingangs schon erwähnt, dass ich immer noch Spiele erlebe, in denen ich es einfach nicht in meine OWZ schaffe und unter meinen Möglichkeiten bleibe. Trotzdem haben mir die beschriebenen Überlegungen sehr dabei geholfen, die psychischen Anforderungen im Wettkampf besser zu verstehen und besser mit Druck oder fehlender Anspannung umgehen zu können. Ich hoffe, dass sie euch auch helfen werden, eure maximale Leistung dann abzurufen, wenn es wirklich zählt!

2 Antworten

  1. Hallo Tobias,

    sehr guter Artikel, vor allem aufgrund der Handlungsanweisungen. Ich komme manchmal ewig lange nicht rein ins Spiel und dann reichen manchmal nur Kleinigkeiten, um in die Stresszone zu gelangen, aus der heraus noch weniger geht. Gut zu wissen, dass es auch auf deutlich höherem Niveau diese Probleme gibt. Noch besser, wie man zumindest versuchen kann, diese zu regulieren.

    Beste Grüße

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